Lili Grün – Stimme einer verlorenen Generation
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- Kategorie: Zulu Magazin
- Veröffentlicht: Mittwoch, 03. September 2025

Schon in den Zwanzigern stand Grün auf den Brettern kleiner Wiener Bühnen, bald darauf zog es sie nach Berlin. Dort gründete sie mit Gleichgesinnten das Kabarett Die Brücke, schrieb Chansons, die frech, verspielt und scharf beobachtet vom Alltag erzählten. Die Kritiker hörten genau hin: „reizend freche Gedichte“ hieß es, „witzig-sentimental“ und „sehr belustigend“. Doch hinter der Leichtigkeit stand stets die Erfahrung der Entbehrung. Grün erkrankte früh an Tuberkulose, lebte von Gelegenheitsjobs – und hielt das alles doch in Sprache fest, die glitzerte wie ein Tanz auf dünnem Eis.
1933 erschien ihr erster Roman Herz über Bord beim renommierten Zsolnay-Verlag. Ein Buch, das die Abenteuer einer jungen Schauspielerin in Berlin schildert – halb Roman, halb Selbstporträt. Die Presse rühmte die Echtheit und die Balance zwischen Gefühl und Klarheit. Kurz darauf folgte Loni in der Kleinstadt, ein feines Sittenbild aus der Welt des Provinztheaters. Und schließlich schrieb sie Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit…, ein Roman über die prekäre Existenz einer Wiener Angestellten. Immer wieder stehen junge Frauen im Zentrum, die mit offenen Augen durchs Leben gehen, die von Liebe träumen, von Freiheit, von Würde – und die doch im harten Alltag Kompromisse schließen müssen.
Stilistisch bewegte sich Lili Grün zwischen der Neuen Sachlichkeit und einem Ton, den man heute fast jazzhaft nennen möchte: klar, unsentimental, dabei verspielt und selbstironisch. Ihre Prosa steht der von Irmgard Keun oder Mascha Kaléko nahe, und doch ist sie unverwechselbar – heiter und ernst zugleich. Ihre Figuren bewahren inmitten von Armut und Enttäuschung eine kleine, trotzige Hoffnung.
Dass dieses Werk so schmal blieb, ist der Tragik ihrer Zeit geschuldet. Als Jüdin durfte Lili Grün nach 1938 nicht mehr veröffentlichen. Eine Flucht gelang nicht, sie wurde 1942 nach Minsk deportiert und im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet – 38 Jahre alt. Mit ihr verstummte eine Stimme, die noch so viel hätte erzählen können.
Doch die Geschichte endet nicht im Schweigen. Jahrzehnte später entdeckte die Literaturwissenschaftlerin Anke Heimberg ihre Bücher neu, gab sie im Berliner AvivA-Verlag wieder heraus und stellte damit sicher, dass Lili Grün nicht länger vergessen bleibt. Heute tragen in Wien und Berlin Plätze ihren Namen, und ihre Romane sind wieder zugänglich.
Wer sie liest, entdeckt nicht nur eine Autorin, sondern eine ganze Epoche: die fiebrige Energie der Zwischenkriegszeit, den Traum der „Neuen Frau“, die fragilen Hoffnungen einer Generation, die von der Geschichte ausgelöscht wurde. Lili Grün war, wie eine Zeitgenossin schrieb, „ein rührendes Mädchen“ – doch vor allem war sie eine Schriftstellerin von Rang, deren Worte uns auch heute noch mit ihrem Witz, ihrem Schmerz und ihrer Zärtlichkeit berühren.
Werke:
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