Hendrik Conscience schuf mit Der Löwe von Flandern (De Leeuw van Vlaanderen, 1838) das wohl berühmteste Werk der flämischen Literatur. Der historische Roman führt in das Jahr 1302, in die Zeit der Schlacht der Goldenen Sporen, als das flämische Bürgertum sich gegen die französische Herrschaft erhob. Conscience verknüpft hier Geschichte, Legende und nationale Mythen zu einem leidenschaftlichen Freiheits- und Identitätsroman.
Im Mittelpunkt steht die Figur des Grafen Robert III. von Béthune, des „Löwen von Flandern“, Symbol für Mut, Treue und Widerstand. Um ihn ranken sich dramatische Episoden, Liebesgeschichten und heroische Gefechte. Der Autor entfaltet eine Sprache voller Pathos und Romantik, durchdrungen von patriotischer Glut – ein Stil, der seiner Zeit den Geschmack traf und das Selbstbewusstsein der flämischsprachigen Bevölkerung stärkte.
Doch der Roman ist nicht nur nationales Denkmal, sondern auch Spiegel seiner Epoche: Inmitten der belgischen Unabhängigkeitsbewegung schrieb Conscience gegen die kulturelle Vorherrschaft des Französischen an. Er bewies, dass man „in flämischer Sprache denken und dichten“ konnte – eine literarische Emanzipation, die weit über das Werk hinausstrahlte.
Heute liest sich Der Löwe von Flandern als romantisches Geschichtsgemälde mit Schwächen in historischer Genauigkeit, aber bleibender erzählerischer Kraft. Es ist ein Aufruf zur Würde eines Volkes, ein Stück europäischer Literaturgeschichte – heroisch, idealistisch, zutiefst menschlich. |