In Armadale (1866) entfaltet Wilkie Collins ein weit verzweigtes Netz aus Identitäten, Geheimnissen und Schicksalsfäden, das zu den ambitioniertesten psychologischen Romanen des viktorianischen Zeitalters zählt. Im Zentrum stehen zwei junge Männer, beide namens Allan Armadale, deren Leben durch ein altes Verbrechen ihrer Väter untrennbar miteinander verbunden ist. Collins inszeniert daraus eine Geschichte über Schuld, Erbschaft und den unentrinnbaren Schatten des Vergangenen.
Doch die eigentliche Faszination liegt in der Figur der Lydia Gwilt – einer der komplexesten Frauencharaktere der viktorianischen Literatur. Berechnend, schön, gefährlich und doch zutiefst tragisch, verkörpert sie die dunkle Seite der Leidenschaft und die Selbstzerstörungskraft des Begehrens. Collins verleiht ihr eine psychologische Tiefe, die ihrer Zeit weit voraus war.
Zwischen Schauerroman, Kriminalgeschichte und Gesellschaftsstudie oszillierend, verwebt Armadale Elemente des Sensationsromans mit moralischer Ambiguität. Der Leser wird Zeuge eines Spiels von Zufall und Schicksal, in dem keine Figur frei von Schuld bleibt. Das Werk, in Fortsetzungen im „Cornhill Magazine“ erschienen, brachte Collins immensen Erfolg – und provozierte zugleich Empörung durch seine unkonventionelle Heldin.
Heute gilt Armadale als ein Schlüsselwerk des viktorianischen Realismus und als Vorläufer moderner psychologischer Thriller – ein Roman, der mit scharfer Feder und morbider Eleganz den Abgrund der menschlichen Seele auslotet.
Überarbeitete Version Oktober 2020 mit Illustrationen
Übersetzer: Ernst Julius Günther, 1866
Editor: Hans-Jürgen Horn |