„Ein Roman über Liebe, Verblendung und die Schatten politischer Leidenschaft.“
Im Spätwerk Die Blinde (engl. Blind Love) begegnet man einem Wilkie Collins, der zwischen Gesellschaftskritik, Melodram und politischer Intrige schwebt. Der Roman, 1890 posthum erschienen und von Walter Besant nach Collins’ Entwürfen vollendet, zeigt die Schattenseiten der „blinden Liebe“ — einer Leidenschaft, die nicht nur das Herz, sondern auch das moralische Bewusstsein verdunkelt.
Im Zentrum steht Iris Henley, eine selbstbewusste Frau, die sich trotz Warnungen ihrer Umgebung in den irischen Abenteurer Lord Harry Norland verliebt. Getrieben von Faszination für das Gefährliche, folgt sie ihm in den Untergrund nationalistischer Verschwörungen. Ihre Hingabe wird zur Falle – sie liebt gegen Vernunft, gegen Anstand, gegen das Licht der Erkenntnis. Erst als der moralische Abgrund sich öffnet, erkennt sie die Wahrheit, zu spät, um noch heil davonzukommen.
Collins verknüpft hier politische Motive des irischen Unabhängigkeitskampfes mit dem psychologischen Drama einer Frau, deren Liebe ihr Kompass und Untergang zugleich ist. Der Roman ist zugleich Spionagegeschichte, Gesellschaftsdrama und moralische Tragödie – ein Panorama viktorianischer Ängste und Leidenschaften.
Obwohl Besant den Erzählfluss glättet, spürt man Collins’ Handschrift: die sensation novel in ihrer intensivsten Form – überladen, fiebrig, mit jenen jähen Umschwüngen, die zwischen Leidenschaft und Verderben tanzen. Stilistisch bleibt das Werk uneben, aber faszinierend – ein unvollendetes Testament eines Autors, der nie aufgehört hat, das Dunkel der menschlichen Seele zu ergründen.
Fazit: Die Blinde ist ein Spätwerk von zwiespältiger Schönheit – roh, tragisch und von einer emotionalen Wucht, die noch lange nachklingt.
Übersetzer: Emil Lehmann, 1874
Editor: Hans-Jürgen Horn |