Antwerpen’sches Sittengemälde von Hendrik Conscience.
Auszug: "Ich habe das »Blaue Häuschen« in dem »Grünen Winkel« gut gekannt — und ich weiß noch, als wäre es gestern geschehen, daß der schönste Windvogel, den ich je besitzen mochte, an die Ecke seines Schornsteins stieß und zerriß.
Es stand an der Chaussee draußen vor dem Borgerhout’schen Thore zu Antwerpen.
Auf beiden Seiten seiner Thüre stieg ein Weinstock in die Höhe; Beider durcheinander gewundene Ranken umkränzten die Fenster mit Guirlanden und überdeckten den blaugemalten Giebel und die rothen Dachpfannen so gänzlich, daß man hätte meinen können, ein blühendes Blumenbeet zu sehen.
Wenn dann im Herbste die beiden Weinstöcke ihre weißen und blauen Trauben zwischen dem blinkenden Grün zeigten, blieben wir Kinder auf unserm Weg nach der Schule vor dem lieben Häuschen gaffend und mit Wasser im Munde stehen, und wir bewegten sehnsüchtig die Lippen und träumten in Selbstvergessenheit von dem zuckersüßen Saft der verlockenden Traubenbüschel.
Jetzt ist dieses Häuschen und sogar unser Schulweg seit vielen Jahren verschwunden. Der berühmte Thiergarten und der ausgedehnte Eisenbahnhof haben den Grund und Boden, worauf wir damals lebten, eingenommen und hier Alles vernichtet oder umgestaltet.
Nichtsdestoweniger steigt das Bild der grünen Wohnung noch oft in meinem Geiste auf, und mit ihm zugleich eine Geschichte, die man mir damals und später noch oft erzählt hat, so wie ich sie jetzt meinerseits dem Leser erzählen will."
Münster, 1872
Übersetzer: Verlag der Aschendorff’schen Buchhandlung
Editor: Hans-Jürgen Horn |