In „Herz und Wissen“ (Heart and Science, 1883) stellt Wilkie Collins die ewige Frage nach dem Verhältnis zwischen Gefühl und Erkenntnis. Der Roman führt tief hinein in die moralischen Schatten der Wissenschaft – in eine Zeit, in der medizinischer Fortschritt mit ethischer Kälte erkauft wurde.
Im Zentrum steht Carmina Graywell, eine junge Frau, deren Schicksal in die Hände ihrer Tante Mrs. Gallilee gelegt wird – eine Naturwissenschaftlerin von kühler Berechnung, die die Sprache der Gefühle verlernt hat. Zwischen ihnen entfaltet sich ein stilles Drama aus Macht, Kontrolle und seelischer Grausamkeit. Collins kontrastiert die menschliche Wärme Carminas mit der sezierenden Logik eines Dr. Benjulia, der das Leben seiner Mitmenschen zu einem Laborversuch degradiert.
Der Autor entwirft ein Gesellschaftsbild, das in seiner Kritik an einem entmenschlichten Fortschrittsglauben bis heute erschreckend aktuell wirkt. „Herz und Wissen“ ist nicht bloß ein viktorianischer Sensationsroman, sondern eine ethische Parabel: Wie weit darf Wissen gehen, wenn es das Herz nicht mehr hört?
Collins, selbst Sohn eines Malers, zeichnet mit psychologischer Tiefe und feiner Ironie die Spannungen seiner Zeit – zwischen Wissenschaft und Religion, Frau und Mann, Pflicht und Gefühl. Der Roman bleibt eine Mahnung, dass Erkenntnis ohne Empathie nur halbes Wissen ist.
Berlin, 1886
Übersetzer: Verlag von Otto Janke
Editor: Hans-Jürgen Horn |